Wasser, Wasser, Wasser

Jeder Sommer geht einmal zu Ende. So läutete sich auch der letzte Sommer, den wir auf den Azoren verbracht hatten, laut und deutlich mit herbstlichen Stürmen auf dem Nordatlantik  aus.

Anfang September 2013 erreichten wir wieder Sao Miguel und schauten täglich mehrfach nach dem atlantischen Wettergeschehen. Von den Azoren ist der bessere Kurs zweifelsohne nach Madeira oder zu den Kanaren, da der Herbstwind nomalerweise überwiegend aus Nord, Nordost oder Ost pustet. Wir hingegen setzten unseren Kurs nach Osten ab, zurück zum portugiesischen Festland, fast 900 Seemeilen entfernt. Das heißt, unser Törn von 7 bis 10 Tagen Dauer quert eine wahre Wasserwüste. Mit dem nach Süden setzenden Golfstrom geht für uns jeder Wind aus Süd, West, Nord bis maximal NordNordOst – denn weder Aufkreuzen noch Marokko stehen auf der Wunschliste…

Herbstlich sonnige Tage ziehen über die Insel. In der Marina von Ponte Delgada lernen wir Ulli von der SY Tofua kennen und planen gemeinsam, also zeitgleich, rüberzumachen. Für Ulli, den Einhandsegler, ist es beruhigend, dass noch ein anderes Schiff in der Nähe sein wird, für uns Atlantikanfänger nicht minder.

Doch der Wind will nicht, wie er soll. Das Azorenhoch zieht nicht gen Süden. Es lauert und lungert unschlüssig nördlich der Inseln herum, brütet dabei tagelang neue Flauten aus oder lässt es aus Ost pusten. Mist ! Ulli wartet bereits seit 6 Wochen, zweimal war er schon ausgelaufen, beide Male genervt  zurückgekehrt. Nun aber, ein Wetterfenster öffnet sich in der Azorenwelt. Ein Nordwester soll 2 Tage lang anhalten, inklusive 10 Flautenstunden, die wir dann motoren müssten. Danach soll der Wind aus NordNordOst kommen, soweit die amtlichen Prophezeihungen. Unser Mann beim DWD meint, wir sollten warten, das Wetter könnte deutlich besser sein… aber was im Leben eines Seglers ist schon perfekt? Auch der September wird immer älter – also, nix wie los!

Wir haben reichlich gebunkert. Essen gibt es mehr als genug. Paprika, Äpfel und anderes Frischgemüse halten prima in der Bilge oder in der Kühlbox, die mittlerweile auf 12 Volt läuft. Nudeln, Konserven und Haferflocken sind eh kaum tot zu kriegen. Auch die Dieseltanks hatten wir bereits auf Terceira gefüllt. Und überhaupt ist das Schiff in bestem Zustand und von Haus aus ein echter Surviver. Mir schwant allerdings, dass ich, nach ein paar Tage wüster Wasserwelt, eine Abwechslung brauchen könnte. So lege ich mir episch lange Werke bereit, die mich ins Mittelalter entführen werden, zu Nonnen, Heilern und Kirchendacherbauern.

Das Auslaufen verläuft leicht angespannt. Was  werden wir auf unserem bislang längsten Törn wohl erleben? Es gibt unterwegs keinerlei Landemöglichkeit – nein, zwischen den Inseln und dem Festland existiert nur: Wasser, Wasser, Wasser. Immerhin, während der ersten Tage scheint Sonne pur, der Atlantik wellt sich fröhlich glitzernd und sogar die angekündete Flaute bleibt aus. Zweimal täglich, um 9:00 und 21:00 Uhr, sprechen wir mit Ulli über Kurzwelle. Unser Abstand vergrößert sich langsam, aber beständig, denn die SY Tofua kommt höher an den Wind.

Ab dem dritten Tag sprießt dem Universum pures Grau aus dem Gesicht, ach was sag’ ich, Grau quillt aus allen Poren. Wir sind umzingelt von grauem Himmel, grauen Wolken, grauem Wasser. Unsere Solarpanele produzieren kaum noch Strom. Auch der Generator schwächelt. Macht aber nichts, denn wir haben einen Schleppgenerator, der den ganzen Weg über genug Power produziert. Es reicht, um den Autopiloten, die Kühlbox, den Bordcomputer, die Instrumente, die Lichter, innen und außen, und nachts das Radar zu füttern. Und alles funktioniert tadellos. Man könnte den Törn fast schon als langweilig bezeichnen, wäre da nicht noch jene grauenvolle Nacht, die uns ziemlich genau in der Mitte des Atlantiks heimsuchte.

An jenem Tag frischte der Wind bereits am Nachmittag deutlich auf und ließ die 30 Knoten weit hinter sich. Die Wellen kamen zur Abwechslung fast genau von vorne. Wir kämpften um jedes Grad, bloß nicht abfallen. Pigafetta begann, mit dem Bug immer wieder in die Wellen zu schlagen. Stundenlang. Kurz nach Mitternacht lege ich mich nicht in die Achterkoje, sondern bleibe im Salon, denn die Geräuschkulisse im Schiff ist dermaßen laut, dass ich kein Rufen oder Schreien im hinteren Schiff hören würde. Die Schiffsbewegungen muten ruckartig und abrupt an, das Sofa bietet keinerlei Komfort. Also Polsterkissen runter auf den Boden und den Schlafsack im Gang zwischen Sitzbank / Bollerofen und Salontisch ausbreiten. Na denn, gute Nacht.

Auf einmal bricht die Hölle los und dröhnt sich durch meinen Schlaf hindurch, weit hinab bis zu mir. Da, wieder. Ein teuflisches Hämmern lärmt durch finstere Nacht. Das Schiff zittert und vibriert. Himmel, wir werden attackiert! In meinem Dämmerzustand sehe ich augenblicklich IHN: Poseidon, Herrscher aller Meere. Sein Haar schlammverkrustet, die Augen in aufblitzendem Wahn wild verdreht, umklammert er unseren Wasserstag. In der anderen Hand führt er seinen Dreizack, den er immer wieder gegen den Schiffsrumpf schleudert, während gurgelnd polterndes Lachen seiner Kehle entrinnt. Da, wieder! Rumms! Plötzlich ein gleißendes Licht direkt vor meinen Augen. “Ich geh’ mal nachschauen!” Kalles Stimme bringt mich zurück in eine vertrautere Welt. Eine Höhlenforscherlampe dreht ab. Ich verbanne Poseidon und torkel dem Licht ins Cockpit hinterher. Immer noch hämmert es ohrenbetäubend auf uns ein. Noch schlimmer aber ist das Nichtwissen, wer oder was uns da erschlägt.

Draußen nur Finsternis. Es steht kein Mond, keine Sterne, die Nacht gibt sich glanzlos nackt. Das tanzende Licht der LED Stirnlampe zeigt Kalles ungefähre Position, während er auf allen Vieren das bäumende Schiff abwandert. Nach schier endloser Zeit ist plötzlich Schluss mit dem Hämmern. Kalle kommt zurückgekrochen. “Der große Anker hat sich losgerissen! Die Sicherheitsleine war durch.” Die Wucht des Wassers hatte sogar die festgezogene Kettenbremse leicht gelöst und den Anker gut 1-2 Meter in die Tiefe gezogen. Kurzum, unser 60 Kilo Anker hätte uns auf einem Plastikschiff vermutlich durchlöchert und versenkt. Dann wären wir tatsächlich  hinunter in Poseidons Reich gereist. Zum Glück hat unser robustes Stahlschiff noch nicht einmal Dellen abbekommen, nur der Farbaufstrich ist bei den Hieben geplatzt! Diese Nacht war jedenfalls gelaufen! Auferstandene wachen länger.

Ein weiteres Highlight bot das Verkehrsaufkommen in Küstennähe, besonders nach all den Tagen auf dem menschenentleerten Atlantik. Kaum hatten wir den Einzugsbereich der Azoren verlassen, trafen wir auf max. 1 oder 2 Frachtschiffe pro Tag, die wir  im AIS oder Radar, oder auch mal am Horizont erblickten. Die ersten Schiffe, die unseren Kurs querten, kamen aus Süden, auf einem Kurs entlang der afrikanischen Küste.

Wir hatten mit dem Wetter sehr viel Glück, denn Tag 8 beschwerte uns einen Nordwester, so dass wir am Wind wieder hoch, nach Nordosten an die Algave segeln konnten. Wäre der Wind weiter aus Nordost gekommen, hätten wir in Marokko gelandet. So aber konnten wir unseren viel zu südlichen Kurs korrigieren und außerdem vorbildlich das Verkehrstrennungsgebiet rechtwinklig queren. An diesem Morgen tummelte sich dort so ziemlich alles, was einen Kiel besaß. Wir pflügten mit 6 Knoten hindurch, fielen regelmäßig ab, immer auf der Hut, einem großen Pott Wegerecht zu geben.

Dann endlich war es geschafft, nach gut NEUN  Tagen fiel an einem frühen und sonnigem Nachmittag der Anker in der Bucht von Portimao. Unser Motor war tatsächlich nur beim Auslaufen in Ponte Delgada und beim Einlaufen in Portimao in Aktion gewesen. Und wer sagt, die Welt sei klein? Wir landeten  zwischen der SY Tofua und unseren Schweizern auf der (jetzt zum Verkauf stehenden)  SY Nora. Moin moin !

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